Kommentar: Innovation durch Diversität: Sechs Thesen zum Umgang mit Vielfalt.

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Immer mehr Unternehmen setzen sich mit der Bedeutung von Vielfalt auseinander. Gerade in einer globalisierten Wirtschaft scheinen auch diverse Teams zu einem Schlüsselfaktor zu werden. Ihnen wird höhere Kreativität und Innovation zugeschrieben. Dieser Zusammenhang ist jedoch kein Automatismus. Um das Potenzial freizusetzen, müssen Unternehmen ihren Umgang mit Vielfalt verändern. Dieser Beitrag zeigt sechs Thesen dazu auf, unter welchen Bedingungen Diversität zum Erfolgsfaktor werden kann.

Ob Pipi Langstrumpf oder Winnetou, ob Batman oder Prinzessin Lea – in jedem Menschen steckt ein Entdecker-Gen. Und gerade als Kinder treibt uns die Neugier nach dem Neuen, nach dem Bunten, dem Ungewöhnlichen. Für Erziehung und die formale Bildungssozialisation ist das eine schwierige Eigenschaft. Entsprechend sind Bildungsinstanzen eher bestrebt, dass ein bestimmtes Verhalten, eine bestimmte Art zu denken erwartet und verstärkt werden. Je erwachsener wir werden, umso mehr neigen wir dann dazu, uniform und standardisiert zu agieren – und eben nicht die Vielfalt möglicher Ideen in den Blick zu nehmen. Meine erste These:

Unsere Sozialisation fördert Uniformität und Standardisierung – nicht die Vielfalt.

Diese Tendenz zeigt sich in unserer informellen Bildung wie auch in der schulischen. Und es wird in der universitären Bildung weiter verstärkt. Gerade nach dem Bologna-Prozess hat sich auch dort der Trend zu Reproduktion und damit Uniformität der Ideen fortgesetzt.

Wenn wir die Vielfalt der Ideen wollen, müssen wir unsere persönliche Bildungssozialisation in den Blick nehmen. Das Ergebnis heutiger Bildung sieht eben oft so aus, dass wir Menschen bekommen, die einen sehr ähnlichen Mindset entwickeln, vergleichbare Vorstellungen davon haben, wie Dinge sein sollten, kurzum: von relativ hoher Einheitlichkeit. Diese Uniformität bringt selbstverständlich auch Vorteile mit sich. Es hat Stärke, wenn viele Menschen ihre Kräfte bündeln und in die gleiche Richtung marschieren. Denken Sie pointiert ruhig an das Motiv der Klonarmee in einem Star Wars Film, wie auch immer man zur Rolle dieser Truppen in den Filmen stehen mag.

Um in der Welt von Star Wars zu bleiben: Auf der Seite der Filmhelden steht eine kleine Gruppe sehr unterschiedlicher Figuren. Wir erleben eine Blechtonne, die piepende Laute von sich gibt, ein Wookiee, der als Fellknäuel durch die Gegend läuft, Han Solo, der eigentlich ein Kleinkrimineller ist, Prinzessin Leia als eine Mischung aus Ronja Räubertochter und Schneewittchen und natürlich den jugendlichen Retter Luke. Sie alle treten nicht von Anfang an als Team auf, stattdessen müssen sie hart an ihren Beziehungen arbeiten. Sie leiden in vielen Situationen sogar an ihren Eigenarten und ihrer Unterschiedlichkeit. Aber in diesem Miteinander entsteht eine gemeinsame Kraft: Als Team können sie Probleme besser lösen. Sie lernen auszuhalten, dass jeder besonders und anders ist. Ich behaupte sogar: Dieses Aushalten von Andersartigkeit ist ein ganz entscheidender Faktor dafür, dass sie letztlich erfolgreich sind, auch gegenüber der Klonarmee. Meine zweite These:

Erst durch positive Erfahrungen lernen wir, Anderssein und neues Denken wieder wertzuschätzen.

Wenn wir diesen Exkurs in die Welt des Kinos auf die Rolle von Diversität in unserer Gesellschaft beziehen, bedeutet das, dass wir bei jeder Aufgabe zunächst eine Einordnung zwischen diesen zwei Extremen – hohe Uniformität und hohe Unterschiedlichkeit – vornehmen sollten. Doch wie gelingt dies, wenn unsere Bildungssozialisation eher Uniformitätsverhalten bevorzugt? Deswegen lautet meine dritte These:

Wir müssen Räume schaffen, in denen Menschen positive Erfahrungen mit Vielfalt machen können.

In welchen Situationen erfahren wir, dass Vielfalt wertgeschätzt wird und Vorteile bringt; dass Anderssein und Querdenken zu Erfolgen führen kann? Lassen Sie uns in die Welt von Unternehmen blicken: Diese sind in ihrer Struktur meist klar hierarchisch angelegt und befördern eher uniformes Verhalten. Gleichzeitig redet die europäische und deutsche Wirtschaft über ihren Innovationsbedarf und über den Veränderungsdruck durch globale Märkte und die Digitalisierung. In den Personalabteilungen wird weithin die These akzeptiert, dass mit steigender Diversität der Belegschaft die Innovationskraft des Unternehmens steigt. Die logische Gedankenkette hierzu lautet: mehr Diversität, mehr Ideen, vielfältigere und passgenauere Produkte für alle gewünschten Zielgruppen, mehr Gewinn und damit letzten Endes: wirtschaftlicher Erfolg durch Innovation. Soweit die Theorie. Ich möchte an diese logische Kette ein paar Fragezeichen setzen. Denn meine vierte These lautet:

Es gibt keinen Automatismus im Zusammenhang von Diversität und Innovation.

Für diejenigen, die hier tiefer einsteigen möchten, sei an dieser Stelle nur angemerkt, dass es diverse unterstützende wie auch relativierende Studien für den Zusammenhang zwischen Diversität und Innovation gibt. Allerdings lohnt sich immer ein Blick ins Kleingedruckte: Die Autoren nutzen sehr unterschiedliche Definitionen (An welcher Kenngröße wird Innovation eines Unternehmens gemessen?), beziehen sich auf Einzelaspekte (Diversität wird auf Menschen mit Migrationshintergrund oder auf das Geschlecht begrenzt), wählen ein sehr enges methodisches Setting (reine Managementbefragung) oder eine spitze Forschungsfrage (lediglich ein Diversitäts-Aspekt wird für deutsche börsennotierte Unternehmen untersucht). Die Bertelmann Stiftung hat 2018 unter dem Titel „Faktor Vielfalt“[1] die Forschungslage zu kultureller Vielfalt für den deutschen Markt in einer Metastudie systematisiert und die Studienunterschiede herausgearbeitet. Verallgemeinernde Schlussfolgerungen aus den Studienergebnissen sind daher in der Regel schwierig und sollten kritisch bewertet werden.

Vor dem Hintergrund dieser ernüchternden Studienbilanz bleibt die Kernfrage, wie aus mehr Diversität mehr Innovation werden kann. Die Antwort ist relativ leicht. Diversität kann nur dann ihre innovationsförderliche Kraft entfalten, wenn die Kultur im Unternehmen hilft, dieses Potenzial freizusetzen. Die zentrale Frage lautet daher, wie dieses gelingen kann. In der Studie „The Mix That Matters“[2] der Boston Consulting Group werden dafür fünf sogenannte Bedingungen identifiziert: Die Mitarbeiter dürfen Entscheidungen treffen. Das Top Management verfolgt Diversität. Mitarbeiter sollen ihre Meinungen äußern. Raum für persönliche Gespräche. Gleiches Gehalt für gleiche Arbeit.

Lediglich „Equal Pay“, also wenn für gleiche Arbeit alle den gleichen Lohn bekommen, bewerte ich als ein Kriterium, das sich in Unternehmen strukturell einfach einführen lässt. Die anderen vier Kriterien beziehen sich auf das Umgehen miteinander und sind vom subjektiven Erleben im Arbeitsalltag abhängig. Dieses erfordert wiederum, dass eine Kultur geschaffen wird, die den Mitarbeitenden positive Erfahrungen mit dem Einbringen ihrer Ideen ermöglicht. Das, was für den Bereich der schulischen Bildung gilt, zeigt sich hier in Unternehmen genauso. Die bringt mich zu meiner fünften These:

Unternehmen müssen ihre Kultur so verändern, dass Anderssein positiv gesehen werden kann.

Als Mitarbeitender muss ich meine neue Idee nicht nur einbringen wollen, sondern auch einbringen sollen. Dieses erfordert einen unternehmenskulturellen Change-Prozess. Fehler werden akzeptiert, mit ihnen wird konstruktiv umgegangen. Damit dieses gelingt, kommt insbesondere der Aus- und Fortbildung eine wichtige Rolle zu. Hier haben Unternehmen die Möglichkeit innerhalb eines gewohnten Rahmens neue Akzente zu setzen und Erfahrungsräume zu öffnen.

Zwar führt nicht jede Idee, jede Innovation automatisch zu einem wirtschaftlichen Erfolg, aber diversitätsgestütztes Innovationsmanagement setzt auf die Vielzahl und Vielfalt an Ideen. Letztlich bedeutet dieser fördernde Umgang mit dem Anderen, dass sich die klassisch hierarchische Top-down-Pyramide in Unternehmen – von der Top Führungsebene bis zur Mitarbeiterebene – fundamental ändert. Durch gelebte Diversität kann das Ideenmanagement zu einem Bottom-up-Ansatz werden. Die vielen Mitarbeitenden in ihrer diversen Zusammensetzung werden ermutigt, eigenverantwortlich zu handeln, Themen zu setzen, Verantwortung zu übernehmen. Mit diesem Wandel verändert sich auch die Rolle der Führungskräfte. Bezogen auf Innovationsmanagement werden diese zum „Enabler“, zum Gärtner im Garten der vielfältigen Ideen.

Doch wie ernst nimmt es ein Unternehmen mit der Förderung einer Kultur der Vielfalt? Gerade Mitarbeitende sind kritisch gegenüber Strategiewechseln und neuen Vorgaben. Um die Glaubwürdigkeit zu zeigen, empfehle ich eine erste Nagelprobe: Gibt es im Unternehmen konkrete Ziele im Hinblick auf Diversität? Gibt es ein Leitbild zu Vielfalt, darüber hinaus aber auch einen Maßnahmenplan? Die zweite Nagelprobe: Man frage Mitarbeitende, wie diese die Wertschätzung für Querdenken im täglichen Handeln erleben? Sehen sie Unterstützung für Neues und die Anerkennung von Vielfalt?

Für Unternehmen ist es eine durchaus diffizile Aufgabe, den Change-Prozess hin zu einer Kultur der Wertschätzung für Vielfalt bei Menschen und Ideen zu gestalten. Schon beim Recruiting wollen sie Menschen finden, die querdenken und auch unbequem sein können. Kann sich eine Kandidatin oder ein Kandidat auf den Gesprächspartner einlassen, Situationen und Bedürfnisse angemessen einschätzen, Argumente finden, eine eigene Lösung entwickeln? Bei den klassischen Themen in einem Bewerbungsgespräch werden diese Kompetenzen kaum erkennbar. Interessant ist vor diesem Hintergrund, dass bei Auswahlverfahren vermehrt auf das Engagement im Privaten geschaut wird. Hat jemand schon mal ein Jugendzeltlager in der Kirchengemeinde organisiert oder gibt es Engagement in einer Naturschutzorganisation? Auch Auslandserfahrungen dienen als Signal, dass sich ein Interessent schon mal auf den Weg gemacht, sich in einer anderen Kultur zurechtgefunden hat. Das sind Indikatoren dafür, dass jemand in der Lage ist, seine Perspektive zu ändern, Dinge anders zu sehen – und dieses Verhalten vermutlich in den Arbeitsalltag übertragen kann. Meine sechste These:

Gerade innovationsorientierte Unternehmen sollten eine starke Zivilgesellschaft mit Ehrenamtsstrukturen und Freiwilligenarbeit vorantreiben!

Das gilt mit Blick auf künftige Bewerberinnen und Bewerber, aber auch auf die Mitarbeitenden. Wir brauchen mehr Mut zum Anderssein und damit auch zum Unbekannten, zum Querdenken. Sowohl in Unternehmen als auch im klassischen Bildungsprozess sind die Beteiligten gefordert, die dafür notwendigen Erfahrungsräume zu schaffen und zu gestalten. Mit Blick auf betriebswirtschaftliche Interessen an Diversität und Innovation sollte auch das Verhältnis von Wirtschaft und Engagementkultur in unserer Gesellschaft neu bewertet werden. Corporate Volunteering kann viel mehr werden als die Organisation von Aufräumaktionen im Park.

Insgesamt zeigt sich, dass Diversität und Vielfalt die Zusammenarbeit in Teams und auch die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen positiv beeinflussen. Allerdings müssen die Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass von den unterschiedlichen Stärken ihrer einzelnen Mitglieder profitiert werden kann. Wenn Unternehmen Diversität als Potenzial anerkennen, werden sie Wert und Wertschätzung von Vielfalt zu einem Teil ihrer Unternehmenskultur machen. Unternehmen sollten Vielfalt in die Ausgestaltung ihrer Personalstrategie aufzunehmen und die Rahmenbedingungen des Zusammenarbeitens mit Blick auf das Innovationspotenzial auszugestalten. Eine reine Absichtserklärung wird nicht ausreichen. Vielmehr muss die Strategie zu Diversität mit der Unternehmensstrategie verbunden werden. So wird sie eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit, die dem Unternehmen einen wesentlichen Vorsprung geben kann.

Dieser Artikel basiert auf einem Impulsvortrag von Dr. Norbert Taubken bei der Amazon Academy „Innovation durch Diversität“ im 26. September 2019, der 2020 im gleichnamigen Buch veröffentlicht wurde. Herausgeber: Gunnar Bender, Anne Gerlieb. B&S Siebenhaar Verlag + Medien, Berlin/München, 2020.

[1] https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/faktor-vielfalt/

[2] http://media-publications.bcg.com/22feb2017-mix-that-matters.pdf

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