Drei Fragen an Julia Ummenhofer

Referentin für Nachhaltigkeit bei der Stadtreinigung Hamburg AöR

2. Nachhaltigkeit & Köpfe

Fast täglich kommen die Bürger:innen der Hansestadt mit den vielfältigen Dienstleistungen der Stadtreinigung Hamburg in Berührung: Ob der Müll abgeholt und fachgerecht verwertet ist, die Parks, Straßen und Gehwege gereinigt und letztere im Winter von Eis befreit sind, ob warmes Wasser zum Duschen vorhanden ist oder eine öffentliche Toilette bereit steht. So leistet das öffentliche Unternehmen mit seinen rund 4.300 Mitarbeitenden einen wichtigen Beitrag für eine lebenswerte und nachhaltigere Stadt. Dabei ist unser Kunde Hamburgs größter Dienstleister im Bereich Abfallwirtschaft und Reinigung: Als Full-Service-Dienstleister ist die Stadtreinigung Hamburg nicht nur für die Sammlung von Rest-, Bio- und Hausmüll aus über einer Millionen Haushalten zuständig, sondern agiert gleichermaßen im öffentlichen, gewerblichen und privaten Auftrag.

Im Rahmen unserer Interviewreihe „Drei Fragen an“ sprachen wir mit Julia Ummenhofer, Referentin für Nachhaltigkeit bei der Stadtreinigung Hamburg AöR, über die Verantwortung als öffentliches, gemeinwohlorientiertes Unternehmen und die Rolle von Nachhaltigkeit im Kontext der Daseinsvorsorge der Stadt Hamburg. Darüber hinaus gibt sie spannende Einblicke, wie sich die Stadtreinigung Hamburg auf die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) vorbereitet und welche Chancen sie in der EU-Richtlinie sieht – für das Unternehmen sowie auch als Impulsgeberin für die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit.

SFR: In einer Wesentlichkeitsanalyse haben wir gemeinsam die für die Stadtreinigung Hamburg und ihre Stakeholder wesentlichen Nachhaltigkeitsthemen identifiziert. Welche Themen haben sich für welche Anspruchsgruppen als besonders zentral herauskristallisiert?

Julia Ummenhofer: Durch unsere Dienstleistungen, wie beispielsweise Sammlung, Transport und Behandlung von Abfällen, die Reinigung von Straßen und Grünflächen oder die Erzeugung klimafreundlicher Energie, haben wir vielfältige Auswirkungen auf diverse Akteur:innen. Daher haben wir bereits in der Vergangenheit regelmäßig unsere Stakeholder:innen befragt, um ihre Meinungen und Anforderungen zu erheben und unserer Verantwortung als gemeinwohlorientiertes öffentliches Unternehmen nachzukommen. Auch in unsere neu aufgesetzte Wesentlichkeitsanalyse gemäß ESRS haben wir durch Befragungen unterschiedliche Stakeholder:innen einbezogen. Hier ein paar Beispiele:

  • Für die Belange unserer Mitarbeitenden haben wir Arbeitnehmervertreter:innen befragt, die das Wissen über die Wünsche und Arbeitsbedingungen unserer Kolleg:innen bündeln. Als wichtige Themen wurden vor allem gute Arbeitsbedingungen wie angemessene Löhne, Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit sowie Chancengleichheit genannt.
  • Für andere Anspruchsgruppen, wie die Hamburger Bürger:innen, haben wir Interviews mit stellvertretenden Gesprächspartner:innen aus der Politik und der Verbraucherzentrale geführt. Insbesondere stadtreinigungsspezifische Themen wie die Entsorgungssicherheit und Stadtsauberkeit haben sich hier als zentrale Themen herauskristallisiert.
  • Um die Perspektive der Arbeitskräfte in der Wertschöpfungskette einzubeziehen, wurden soziale NGOs und Behördenvertreter:innen befragt. Diese haben den Blick auf zusätzliche Themen zu guten Arbeitsbedingungen, wie angemessene Löhne und Arbeitszeiten bei Arbeiter:innen in der Lieferkette, geschärft. Positiv bewertet wurde hier unser Leitfaden für nachhaltige Beschaffung auf Basis einer eigens durchgeführten Risikoanalyse.
  • Da die Natur als sogenannte „stille Interessensträgerin“ nicht für sich selbst sprechen kann, wurde auch hier mit qualifizierten Stellvertreter:innen gesprochen, wie beispielsweise mit Umwelt-NGOs oder Vertreter:innen aus Forschung und Wissenschaft. Der Klimaschutz und die Transformation zu einer Kreislaufwirtschaft wurden in diesem Zusammenhang als besonders wichtig herausgestellt. Hier wurde positiv bewertet, dass die Stadtreinigung Hamburg wissenschaftliche Kooperationen eingeht, um faktenbasierte Lösungen für einen nachhaltigen Umgang mit natürlichen Ressourcen und Lösungen zur Erreichung unseres Zieles der Klimaneutralität auszuarbeiten.

Dies sind nur einzelne Erkenntnisse aus der Einbeziehung unserer Stakeholder:innen. Das Wissen unterstützt unsere Arbeit, um externe Effekte zu verringern und innerhalb unserer Möglichkeiten einen positiven Einfluss auf alle Anspruchsgruppen auszuüben.

SFR: Die Leistungen der Stadtreinigung Hamburg sind als sogenannte Anstalt des öffentlichen Rechts auf die Daseinsvorsorge, also die Versorgung der Bevölkerung mit Dienstleistungen des täglichen Bedarfs, ausgerichtet. Inwiefern spielt Nachhaltigkeit dabei eine Rolle?

Julia Ummenhofer: Der öffentliche Auftrag zur Daseinsvorsorge der Stadt Hamburg ist Kernelement unserer täglichen Arbeit. Unser Ziel ist es, einen bedeutenden Beitrag dazu zu leisten, dass die Lebensqualität in der Hansestadt auf weiterhin sehr hohem Niveau gewährleistet werden kann. Daher legen wir großen Wert auf gut funktionierende Leistungen in unserem Kerngeschäft: Entsorgungssicherheit und Stadtsauberkeit.

Die Erfüllung dieser Pflicht reicht für unsere Ambitionen als gemeinwohlorientiertes Unternehmen allerdings nicht aus. Wir wollen zukunftsfähig handeln und das kann nur funktionieren, wenn Nachhaltigkeit frühzeitig in die eigenen Tätigkeiten integriert wird. So haben wir uns zum Beispiel das ehrgeizige Ziel gesetzt, bereits im Jahr 2035 bilanziell klimaneutral zu wirtschaften. Um das Ziel zu erreichen, haben wir ein Klimaschutzkonzept für all unsere Geschäftsbereiche erstellt. Dieses beinhaltet Maßnahmen zur Vermeidung und Reduktion von Treibhausgasemissionen, unter anderem die Abscheidung der CO2-Emissionen an unseren Müllverwertungsanlagen oder die Umstellung unseres Fuhrparks auf alternative Antriebe.

Die von uns gesammelten Abfälle betrachten wir als wertvolle Ressource. Aus diesem Verständnis heraus tragen wir mit unserer täglichen Arbeit dazu bei, Abfälle zu verwerten und ihnen ein zweites Leben zu geben – ob durch den Verkauf in unseren Gebrauchtwarenkaufhäusern Stilbruch oder durch die Zuführung zu einem fach- und umweltgerechten Recycling. Auf diese Weise tragen wir zur Etablierung einer Kreislaufwirtschaft bei. Um den Grad der Kreislaufwirtschaft noch weiter zu erhöhen, sind jedoch neue Ideen, Wege und Technologien notwendig. Deshalb beteiligen wir uns an verschiedenen Forschungsvorhaben zur Kreislaufwirtschaft, die in Zukunft zu mehr Nachhaltigkeit in Hamburgs Alltag beitragen sollen.

Damit Abfälle aber gar nicht erst entstehen, legen wir großen Wert auf eine gute Aufklärung und Umweltbildung. So schaffen wir bereits bei den Kleinsten ein Verständnis für Nachhaltigkeitsthemen, insbesondere für die Vermeidung von Abfällen und das richtige Recycling. Dafür wenden wir vielfältige Methoden und Formate nach dem Konzept „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ der Vereinten Nationen an, angefangen von der Bereitstellung von Unterrichtsmaterialien über die Durchführung kostenloser Lerneinheiten an Kitas und Grundschulen bis hin zu altersgerechten Führungen auf unserem außerschulischen Lernort „Energieberg Georgswerder“ oder durch unsere Anlagen.  

SFR: Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) betrifft über 15.000 Unternehmen in Deutschland. So auch die Stadtreinigung Hamburg. Nach der Wesentlichkeitsanalyse werden wir im nächsten Schritt den ersten CSRD-konformen Bericht für 2024 erstellen – ein Jahr bevor für Sie die  eigentliche Pflicht ab dem Geschäftsjahr 2025 greift. Welche Chancen sehen Sie neben allen Herausforderungen in den neuen Berichtspflichten und dem damit verbundenen Prozess?

Julia Ummenhofer: Wir sehen in der europaweiten Vereinheitlichung der Nachhaltigkeitsberichterstattung einen weiteren wichtigen Schritt, dieses Thema auf eine neue Ebene zu heben. Finanzkennzahlen werden bereits seit Jahrzehnten einheitlich berichtet, was einen guten Überblick über den Status Quo eines Unternehmens schafft und wodurch eine Vergleichbarkeit von Informationen zwischen Unternehmen sichergestellt wird. Das erhoffen wir uns in Zukunft auch für Nachhaltigkeitsinformationen, da diese für Unternehmen ebenso wichtige Indikatoren wie Finanzkennzahlen sein werden.

Bei der Stadtreinigung Hamburg veröffentlichen wir bereits seit 2006 einen Nachhaltigkeitsbericht. Das hat uns dabei geholfen, frühzeitig Nachhaltigkeitsaktivitäten im Unternehmen anzustoßen. Mit den neuen Anforderungen der CSRD beschäftigen wir uns trotz dieser Historie mit ganz neuen Themen, zum Beispiel der Klimarisikoanalyse. Das ist nicht nur regulatorische Pflicht, sondern hilft uns, mögliche Klimarisiken für die Stadtreinigung Hamburg zu erkennen und uns dadurch zukunftsfähiger und resilienter aufzustellen.

Auch unsere Prozesse hinterfragen wir: Mit dem neuen, starreren Rahmen der Berichtspflicht setzen wir uns aktuell intensiver mit Unternehmensstrukturen und Verantwortlichkeiten auseinander. Durch die strategische Verankerung der ESG-Themen können neue, ambitionierte Ziele gesetzt werden, die ein Neu-Denken von Prozessen anstoßen. Diesen Effekt erhoffen wir uns auch bei anderen Unternehmen, damit Nachhaltigkeit stärker im Kerngeschäft verankert wird. Schließlich müssen wir alle gemeinsam an einem Strang ziehen, um unsere Wirtschaft und Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit zu transformieren. Die CSRD kann dabei ein wichtiger Baustein sein.

SFR: Wir bedanken uns für die Einblicke und das Gespräch.

(DE) +49 (0) 30 700 186 830

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