Kommentar: Baumwollland Indien: Mehr Resilienz für Kleinbauern

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Im Dezember 2017 ermöglichte die niederländische Good Textiles Foundation (www.goodtextiles.org) einen Einblick in die Lebenssituation indischer Baumwollkleinbauern. Eine kleine Gruppe an Unterstützern nachhaltiger Wertschöpfungsketten im Textilbereich trat eine Feldreise in den indischen Staaten Telangana und Tamil Nadu an.

In drei Beiträgen werden hier Erfahrungen und Erkenntnisse über die ersten Stufen textiler Lieferketten veröffentlicht. Teil 1 befasst sich mit Veränderungen kleinbäuerlicher Strukturen durch die Umstellung auf nachhaltige Baumwolle.

Einen ausführlichen Einblick in die Arbeit der Good Textiles Foundation gibt es in diesem Videobeitrag.

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Der Baumwollanbau in Indien ist – anders als in Usbekistan oder den USA – geprägt von kleinstbäuerlichen Gemeinschaften, die jeweils einer ethnischen Gruppe angehören. Das Land ist stark fragmentiert: Ein Farmer bewirtschaftet in Durchschnitt weniger als 1 Hektar. Die Ausrichtung auf konventionellen Baumwollanbau veränderte das Leben vieler indigener Bevölkerungsgruppen im zentralen ländlichen Indien. Der Köder war die Nachfrage im Weltmarkt und damit die Hoffnung auf ein verlässliches Einkommen, als Beifang zeigten sich zwei katastrophale Entwicklungen:

Selbsttötungen von Baumwoll-Bauern nach Missernten. Dürreperioden können zu einem nahezu vollständigen Ausfall der Ernte führen. Insbesondere bei Monokulturen ein existenzielles Risiko für die Baumwollbauern und ihre Familien. Bei konventionellem Anbau gibt es zudem die Notwendigkeit, jedes Jahr neue Baumwoll-Saat einzukaufen. Die Rechnung vereinfacht: Schlechte Ernte, kein Geld, kein Saatgut, keine neue Ernte. Auch der Zugang zu Krediten, formell wie informell, ist für die Farmer extrem schwierig. Zinsen von 60 % p.a. sind durchaus üblich. Das Risiko liegt erneut bei den Farmern. Im Oktober kommt es zu Selbsttötungen. In Indien gibt es pro Jahr ca. 10.000 „Cotton Farmer Suicides“. 2016 allein in einem einzelnen Dorf 49! Frau und Kinder bleiben allein und schutzlos zurück, diese Restfamilien wandern dann oft in die Slums der Metropolen.

Pestizidvergiftungen durch unsachgemäße Nutzung. Selbstverständlich belasten Pestizide das umgebende Ökosystem. Für die Kleinbauern wird der Einsatz notwendig, wenn Monokulturen stark von Schädlingen abhängig werden. Viele sind jedoch kaum des Lesens mächtig. Und ein sicherer Umgang mit den Chemikalien kann hier sicher nicht erwartet werden.

nachhaltigkeit

Bheem Bai ist Witwe. Ihr Mann verstarb vor etwa 20 Jahren an einer Pestizidvergiftung. Sie ging nicht in die Großstädte, sondern blieb. Seitdem setzt sich Bheem Bai dafür ein, die Landwirtschaft so zu führen, wie es ihre Großeltern gemacht haben. Sie wird engagierte Kämpferin für eine Rückkehr zum nachhaltigen Anbau in den Dörfern. 2004 gründet sich aus den kleinbäuerlichen Dörfern heraus die Chetna Coalition, deren Vizepräsidentin sie heute ist. Heute sind es über 35.000 Farmerfamilien aus mehr als 500 Dörfern in den indischen Staaten Odisha, Maharashtra und Telangana. Zusammen bewirtschaften sie eine Fläche von etwa 35.000 Hektar. (www.chetnaorganic.org.in)

Die Gründungsphase der Chetna Coalition wurde kofinanziert durch die Rabobank. Sie ist heute das erfolgreichste Genossenschaftsmodell weltweit in dieser Art der Entwicklungsunterstützung. Die Organisation stellt den Farmern der Kooperative biologisches Saatgut zur Verfügung, kontrolliert die Anbaumethoden und bietet die Infrastruktur für Zahlungsverkehr, Kredite und Versicherungen.

Wechselwirtschaft als Prinzip. Organischer Baumwollanbau heißt für die Farmer der Chetna Coalition immer genetisch-unverändertes Saatgut („GM free“) sowie Regenbewässerung („rainfed“) zu nutzen. Außerdem werden von den Chetna Farmern neben Baumwolle etwa 40-50 % anderes Saatgut und Gemüse angebaut. Wechselwirtschaft verhindert ein Auslaugen der Böden, die Fruchtvielfalt verringert das Risiko von Ernteausfällen und sichert die Ernährung der Familie (Beispiel: Kastorsamen, aus dem Rizinusöl gewonnen wird).

Die Chetna Coalition zahlt den Farmern den gesetzlichen Mindestpreis für Baumwolle (2017 waren dies 43 Rupien, 50-60 Cent, pro Kilo) oder möglichst einen vorab festgelegten, in der Regel etwas höheren Chetna-Preis. Den Kleinbauern wird die Abnahme ihrer Ernte garantiert. Die Entkörnung („Ginning“) und der Baumwoll-Verkauf an eine Spinnerei erfolgen über die Genossenschaft. So entstehen eine relevante Masse und auch eine Verhandlungsmacht, wie sie ein einzelner Bauer nicht haben kann.

Zertifizierung bei der Umstellung auf biologischen Anbau. Alle neuen Farmer müssen ihre Felder und das Vorgehen dokumentieren, auch von Nachbarfeldern. Idealerweise werden alle Farmer eines Dorfes überzeugt, umzustellen. Denn die Verfahren müssen gelernt werden. Bei der Ernte sichern Säcke, Schürzen und Mützen aus organischer Baumwolle, dass es nicht zu einer Verunreinigung kommt. Die hohen Sicherheits- und Qualitätsstandards werden auch über eigene Transportfahrzeuge und Entkörnungsprozesse fortgesetzt. Chetna initiiert zudem Projekte, die die Strukturen in den Dörfern aber auch den Zugang zu Bildung stärken. Es sollen Lebensbedingungen so verändert werden, dass die ökologische Landwirtschaft in diesen kleinbäuerlichen Strukturen eine echte Perspektive hat.

Der Erfolg gibt diesem Ansatz Recht: Die Resilienz der Chetna-Farmer ist deutlich gestiegen. Nur zwei Indikatoren dafür: Es gab in der schlechten Baumwollsaison 2015/16 keine Verringerung der geernteten Baumwollmengen. Diese waren bei konventionellem Baumwollanbau deutlich zurückgegangen. Und einen Fall von Cotton Farmer Suicide hat es nach Aussage der Chetna Geschäftsführer unter den Farmern des Verbundes bislang noch nicht gegeben.

Die größte Leistung der Chetna Coalition: Es ist eine Struktur entstanden, über die sich die Kleinbauern eine Stimme geben und den Zugang in den Markt sichern. In unserem globalen Dorf werden sie so zum Wirtschaftspartner für die internationale Textilindustrie und für Fashion Brands. Wenn wir heute ein T-Shirt aus nachhaltiger Baumwolle kaufen, dann machen das auch die Menschen in diesen Dörfern möglich. Und die alles entscheidende Frage lautet: Welchen Preis ist uns deren Arbeit, sind uns deren Gesundheit, Bildung, Lebensumfeld und Zukunft wert?

Anmerkung: Da im Rahmen dieses Beitrags die extrem kontroverse Debatte über die Rolle von genetisch modifiziertem Saatgut auf die Landwirtschaft sowie von internationalen Unternehmen wie Monsanto nicht seriös aufgenommen werden kann, verweisen wir auf die entsprechenden Beiträge und Diskussionsforen und bitte die Leserin und den Leser sich hierzu ein eigenes Bild zu machen.

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