Drei Fragen an: Raul Krauthausen – Mitbegründer des Sozialheld*innen e.V.
Drei Fragen an Raul Krauthausen – Mitbegründer des Sozialheld*innen e.V.
Rund acht Millionen Menschen in Deutschland – also etwa jede*r Zehnte – haben eine Behinderung. Und trotzdem ist ein barrierefreier Zugang zu Produkten, Dienstleistungen und Arbeitsumfeldern noch immer keine Selbstverständlichkeit.
Der Verein Sozialheld*innen e.V. will dies ändern und arbeitet seit 2004 an Lösungen für mehr Teilhabe. Hierzu entwickelt der Verein politische Kampagnen und Apps, die den Alltag von Menschen mit Behinderung vereinfachen sollen. Zu den bekanntesten Projekten zählen Wheelmap.org – die weltweit größte freie Onlinekarte für rollstuhlgerechte Orte – sowie Pfandtastisch helfen, ein auf Pfandbons basierendes Spendensystem. Die Mitglieder von Sozialheld*innen e. V. möchten Personen, Institutionen und Unternehmen so für den Umgang mit Menschen mit Behinderung sensibilisieren.
Mit einem gemeinsamen Beratungsangebot wollen die Sozialheld*innen und Scholz & Friends Menschen mit Behinderung als relevante Zielgruppe für Unternehmen in den Vordergrund rücken. Durch Beratungsleistungen in unterschiedlichen Feldern unterstützen wir Unternehmen und Organisationen dabei, die eigenen Strukturen, den Umgang mit Mitarbeitenden sowie die Kommunikation inklusiver zu gestalten und bisher ungenutzte Chancen für Marken und Produkte wahrzunehmen.
In unserer Newsletter-Rubrik „Nachhaltigkeit & Köpfe“ sprechen wir mit Persönlichkeiten, die unternehmerische Verantwortung aktiv gestalten und vorantreiben. In dieser Ausgabe haben wir mit Raul Krauthausen, Mitbegründer des Sozialheld*innen e.V. und Aktivist für Inklusion, gesprochen.
Scholz & Friends Reputation: Die Corona-Pandemie bestimmt mittlerweile seit mehr als zwei Jahren unseren Alltag. Welche Themen haben Sie in dieser Zeit besonders beschäftigt?
Raul Krauthausen: In Krisen zeigt sich wie durch ein Brennglas, wo gesellschaftliche Probleme liegen. Und das Problem, das übergroß wurde, ist: Menschen mit Behinderung sind die ersten, die vergessen wurden und immer noch werden. Sei es beim Thema Impfung, bei der wir als vulnerable Gruppe nicht erkannt und priorisiert wurden, sei es beim Thema barrierefreie Nachrichten, wo die Pressekonferenzen von Jens Spahn und später Karl Lauterbach ohne Gebärdensprachdolmetschung stattgefunden haben, bis hin zum Thema Triage, wo behinderte Menschen die ersten waren, die man hätte sterben lassen.
Außerdem sind durch Corona neue digitale Teilhabemöglichkeiten entstanden und ich sehe die Gefahr, dass Unternehmen jetzt noch seltener für Barrierefreiheit vor Ort sorgen. Wir müssen verhindern, dass der digitale Raum zu einer Art Katzentisch für behinderte Menschen wird, nach dem Motto: “Unsere Räumlichkeit ist nicht barrierefrei, aber du kannst ja online mitmachen.”
SFR: Mit welchen Fragen sollten sich Unternehmen in Zukunft stärker auseinandersetzen? Und welche Möglichkeiten haben Unternehmen, um die Themen Inklusion und Barrierefreiheit voranzutreiben?
RK: Das größte Thema ist Barrierefreiheit. Ab 2025 wird sie im Onlinehandel verpflichtend, darum müssen sich Online-Firmen sowieso damit auseinandersetzen. Aber auch über die Pflicht hinaus sollte man behinderte Menschen bei Produkten und Angeboten mitdenken. Einige der gängigsten Innovationen unserer Zeit (Alexa, Kindle, E-Zahnbürste uvm.) sind als Hilfsmittel für behinderte Menschen entstanden und nun aus der Massenkultur nicht wegzudenken. Wenn man uns als Markt begreift (immerhin machen wir 10 Prozent der Bevölkerung aus), kann man sich als Unternehmen sehr gut positionieren und gleichzeitig Produkte schaffen, von denen alle profitieren. Ein erster Schritt ist immer, Betroffene zu fragen, was sie brauchen oder bei bestehenden Angeboten vermissen und dann das eigene Produkt dementsprechend zu entwerfen oder anzupassen. Und dann muss natürlich auch im Laden auf bauliche Barrierefreiheit geachtet werden. Das tollste Angebot bringt nichts, wenn ich mit meinem Rollstuhl nicht reinkomme.
SFR: Welche Chancen ergeben sich aus Ihrer Sicht aus dem gemeinsamen Beratungsangebot vom Sozialheld*innen e.V. und Scholz & Friends?
RK: Ich sehe die Chance, dass durch unsere Kooperation Menschen mit Behinderung mehr im gesellschaftlichen, unternehmerischen und politischen Bewusstsein auftauchen und ernst genommen werden. Denn das Thema Inklusion geht uns alle früher oder später in unserem Leben etwas an. Jeder Elternteil, der einen Kinderwagen schiebt, freut sich über Rampen genauso, wie ein Mensch im Rollstuhl. Die Sozialheld*innen haben schon einige Projekte auf den Weg gebracht, die auch den Mainstream weiterbringen. Daher hoffe ich, dass wir diese Projekte gemeinsam ausbauen und ins allgemeine Bewusstsein befördern können. Oft passieren Veränderungen nicht durch einzelne Projekte und Öffentlichkeitsarbeit, die Politik muss mitziehen. Daher hoffe ich, dass in Zukunft Barrierefreiheit und Inklusion auch in der Privatwirtschaft verpflichtend werden, so dass wir echter Teilhabe und Inklusion einen großen Schritt näherkommen.
Weitere Informationen zu den Sozialheld*innen finden Sie hier: https://sozialhelden.de/
Konkrete Beratungsanfragen richten Sie am besten direkt an Jonas Deister (beratung@sozialhelden.de) oder Simon Mattaj (simon.mattaj@s-f.com).
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